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Die Wurstfabrik von San Fernando

Seit ein paar Wochen sind wir nun in Perú.

Reisebekannte mit denen wir an einem anderen Ort, als der von dem ich nun berichten will, zusammenstehen, sprachen von einem Kulturschock, den sie nach der Einreise von Ecuador nach Peru empfunden haben.

Im Gegensatz zu den beiden, kommen wir aus dem Süden, aus Chile aber Ja, es ist tatsächlich ein kleiner Kulturschock. Vieles hier ist noch chaotischer und wenig nachvollziehbarer als in Argentinien und Chile aber auch wie wir es beispielsweise aus Asien kennen.

Gleichzeitig wandelt sich Perú sichtbar zur Moderne. So kamen wir auf dem Weg nach Nazca nicht zum ersten Mal an riesigen Windparks vorbei, die – sich noch im Aufbau befindend – bereits um die 50 Windräder umfassten.

Flügel, Türme und Co kamen uns wenig später auf der Panamericana entgegen. Die Panamericana verbindet Alaska und Feuerland, ist in seiner Nord-Süd-Ausdehnung circa 30.000 km lang und ist, zumindest hier in Perú eine zweispurige Straße. An geeigneten Stellen wir der Gegenverkehr vom Begleitdienst des Windkraft-Schwertransport angehalten, um die Transporter durchzulassen.

Als wir dort so standen und mit den wartenden LKW-Fahrern neben uns ins Gespräch kamen, sagte einer uns, dass wir doch lieber in den National Reserve San Fernando fahren sollten. Nazca, unser eigentliches 50 km entfernte Ziel an diesem Tag, sei nicht schön, viel zu touristisch und dreckig.

Ich hatte mir das National Reserve schonmal auf der Karte angeschaut gehabt und wusste daher, dass es einen circa 120 km langen Rundtrack gab, der an der Stelle, an der wir gerade standen, startet und auch enden sollte. Mehr wusste ich nicht über den Park. Neben der Straße stand ein Schild mit den Do’s and Don’ts in dem Reservat: Müll mitnehmen, auf den Tracks bleiben, sich am Puesto Control registrieren und so weiter.

Mit dem etwas lahmen Internetempfang neben der Straße schaute ich nach mehr Informationen über den Park. Viel war es nicht, aber es sollte dort unter anderem Guanacos und Condore geben. Auch sollte man viele Pinguine und Wale (falsche Jahreszeit) im Norden des Parks an dem Dorf Puerto Coballas sehen können. Die Chance Guanacos zu sehen und, dass die Straße westlich von Puerto Coballas zurück zur Panamericana laut unserer Karte asphaltiert sein sollte, überzeugte uns kurzfristig in das Reservat abzubiegen.

Blick auf den Cerro Huasipara, der mit 1790 m höchste Berg der peruanischen Küst

Ziel war nun erstmal das gleichnamige Dorf San Fernando mitten im Park.

Kurz nach der Einfahrt ins Reservat sahen wir drei dieser Vögel. Nach einer Google-Recherche handelt es sich um einen Inkatriel oder Perutriel. Wikipedia schreibt, dass Nahrungsform und Brutverhalten nicht bekannt sind. Das es sowas noch gibt!

Das Schild mit den Do’s and Don’ts wiederholte sich noch ein paar mal. Mehr Infos oder Hinweis- bzw. richtungsweisende Schilder sahen wir nicht. Ein LKW-Fahrer dessen Pritsche mit Kalkstein beladen war, sagte uns, dass wir uns, wie schon geplant, Richtung San Fernando halten sollten.

Aussicht von unserem Spätstück-Platz
Eine einzelne Sanddüne

Wir fuhren eine circa 50 km lange sehr schöne Strecke immer weiter in den Park hinein und gleichzeitig die Cerros Huasipara Grande und San Fernando hinauf. Wir begegneten keinem mehr. Dies verbunden mit einer Piste, die eine maximale Geschwindigkeit von 25 km/h erlaubte, nährt in uns den Verdacht, dass das Dorf San Fernando nicht mehr so groß sein konnte, wie es (vielleicht) mal war. Wir fuhren weiter. Auf einem Plateau angekommen, kam erstmals ein richtungsweisendes Schild in Sicht. Dort stand “Zufahrt zur südlichen Zone des Nationalreservats San Fernando hier lang”. Die südlich wegführende Piste wurde sehr aufwendig mit weiß angemalten Stecken gesäumt. Wir waren verwirrt. Hatten der Park nicht schon längst begonnen? Und in südliche Richtung wollten wir ja gar nicht. Sondern in nördliche Richtung über San Fernando zum Dorf Puerto Coballas. Also folgten wir der nördlichen Spur und standen plötzlich unterhalb einer Miene. Der Abraum kullerte neben uns den Hang runter. Hier schien es nicht mehr weiterzugehen aber die fünf Kilometer bis nach San Fernando wollten wir noch fahren. Wir fuhren also schnell weiter, denn einige Brocken lagen bedrohlich nah an der Piste.

Unmittelbar vor San Fernando lag ein verrostetes Schild auf dem Boden. “Propiedad privada! Ingreso prohibido para vehículos unauthorizados” Das Schild sowie Spanischkenntnisse brauchten wir eigentlich nicht, um zu verstehen, dass wir hier nicht hingehören aber einmal in San Fernando reinschauen sollte wohl noch drin sein. Dort angekommen, standen nur ein paar windschiefe Hütten und zwei Toilettenhäuser mit rausgerissenen Türen. San Fernando gibt es nicht mehr und richtig viel war hier wohl noch nie los.

Zudem war die Piste Richtung Puerto Coballas zugeschüttet. Wir sind eindeutig in einer Sackgasse.

Wir vermuten, dass das Gebiet um San Fernando nun einer Mine gehört. Das widerspricht natürlich unserer europäischen Vorstellung von einem Naturreservat aber nachdem wir in Peru hunderte von Kilometern durch karge nicht nutzbare Wüstenlandschaft gefahren sind, können wir nachvollziehen, dass die Prioritäten hier woanders liegen.

Wir fahren zügig aus der Mine wieder heraus zurück zur “Kreuzung”. Dem Minenbetreiber ist nach dem Schild zu urteilen bestimmt nicht so recht, wenn wir hier rumfahren.

An der Kreuzung angekommen, nehmen wir also den Zugang zum südlichen Bereich des Naturreservats.

Vom Meer werden Wolken den Berg hochgedrückt

Zwar ist die Piste nun fein säuberlich von weiß angemalten Stecken gesäumt, wird die Piste immer sandiger und teilweise sehr steil. Ohne 4×4 sollte man hier definitiv nicht lang fahren. Nach ein paar Kilometern kommt plötzlich wieder ein Schild. Diesmal mit der Aufschrift Puesto Control 8 km. Wir müssen lachen. In acht Kilometern soll also die Stelle zur Registrierung für das Reservat kommen? Wir stellen uns einen Ranger vor der einsam und allein stundenlang in einem Hüttchen sitzt. Völlig absurd. Wir fahren weiter, die Piste wird immer abenteuerlicher. Nach jedem Hügel erwarten wir die Hütte mit dem Ranger zu sehen aber es kommt natürlich nichts.

Weitere Dünen und unser Track im oberen rechten Bereich

Wir bleiben irgendwann mitten im Nichts stehen, kochen, essen und gehen in absoluter Stille schlafen.

Wir blieben einfach neben der Straße stehen, in der Annahme, dass vermutlich keiner Nachts vorbei kommt
Mit der Drohne versuchen wir in der Ferne die Hütte des Rangers zu finden

Guanacos haben wir bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen, es gibt hier aber auch nichts zu fressen. Noch nicht mal Kakteen, weit und breit nur Steine und Sand.

Für uns gab es an diesem Abend übrigens Senfgurken und Würstchen, die wir am Vortag in San Juan de Marcona erstanden hatten. Als ich die Würstchentüte in den Müll werfe, sehe ich auf der Verpackung die Marke der Würstchen: “San Fernando”

Vielleicht gab es im Dorf von San Fernando mal eine Würstchenfabrik? Wir müssen wieder lachen ob dieser absurden Vorstellung.

Am nächsten Morgen geht es weiter auf die Suche nach dem Ranger in seiner Hütte. Die Piste geht jetzt innerhalb von drei Kilometern von circa 900 auf 100 Höhenmeter direkt an einer Steilküste. Extrem sandig und steil. Wieder wundert uns, das bei der Einfahrt in das Reservat nicht auf die Notwendigkeit von 4×4 hingewiesen wird. Aber nein eigentlich wundert uns hier nichts mehr.

Je tiefer wir gelangen, desto mehr Grünzeug wächst wie kleine Inseln im Sand. Wir halten also Ausschau nach Guanacos und haben Glück. Am Horizont können wir eine Gruppe von Guanacos sehen. Eine Mutter mit einem Fohlen und drei weitere Weibchen sowie ein männliches Tier, das weiter abseits steht.

Guanacos

Unser Ausflug hat sich gelohnt!

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Nachdem wir die Tiere eine Weile lang beobachtet hatten, fuhren wir weiter und es ging die letzten Meter hinab und wir kommen an jetzt inflationär aufgestellten Schildern vorbei: Achtung gefährliche Kurve, nicht schneller als 30 km/h (ist das ein Witz?) oder Weisheiten wie “Manchmal sind die kleinen Momente, die größten im Leben”. Die Piste hatte jetzt ein Gefälle von über 50 Prozent und ist extrem sandig. Immer wieder liegen Mäntel von Autoreifen im tiefen Sand, die offensichtlich dazu genutzt wurden zumindest ein bisschen Traktion beim Aufstieg zu haben. Ein weiteres Schild kommt in Sicht mit Richtungsangaben. Darauf steht auch Puerto Caballas in die Richtung aus der wir kamen. Lukas stieg aus, holte weißes Klebeband und klebte die Richtungsabgabe Puerto Caballas zu. Den Weg zurück, den wir gekommen waren, kann man unmöglich jemand entlang schicken.

Wir fuhren weiter Richtung Puesto Control und tatsächlich kam bald eine Hütte in Sicht und ein Ranger sprang direkt freudig heraus. Vor der Hütte waren alle möglichen Exponate ausgestellt, das Abwasser vom dahinter liegenden Toilettenhaus wurde zwar in Absetzbecken gesammelt, das Rohr dorthin war jedoch gebrochen, sodass das Abwasser die Piste runterlief.

Der Ranger wollte wissen woher wir kamen, schien aber ganz unbekümmert über unsere Schilderung der schlechten Piste zu sein und zuckte nur die Schultern. Hinter ihm stand ein kleiner Schaufelradlader, vermutlich kann man damit noch ein wenig dazu verdienen, wenn mit dem Radlader Autos von der Piste gesammelt werden…

Wir fuhren ein Stück zum Ausblickpunkt Richtung Norden, da es dort Pinguine geben sollte, kehrten jedoch auf halber Strecke wieder zurück, da die Piste dahin ebenfalls super sandig war und nun zusätzlich stark von Algensammlern frequentiert wurde, die auf meterhoch voll gestapelten Pickups Algen mit hohem Tempo über die Piste transportierten.

Pickups mit Algentürmen

Wir kehrten daher um und folgten den Algensammlern aus dem Reservat.

Als dann ein älterer Herr auf der sandigen Piste stand und den Sand kehrte, fühlten wir uns nochmal veralbert. Allerdings hatte Lukas die Vermutung, dass der ältere Herr von den Algensammlern bezahlt wird, um die gröbsten Löcher oder Waschbrettpassagen wegzukehren und so einen schnelleren und materialschonenderen Abtransport der Algen zu ermöglichen. Wir haben schon öfters erlebt, dass Männer und Frauen in einem Alter jenseits europäischer Rentenzeiten solche körperlich anstregenden Jobs machen oder bis tief in die Nacht mit einem Verkaufswagen in der Stadt stehen und Süßigkeiten verkaufen.

Sandfegearbeiten

Genau wie der Beginn des Reservats war auch das Ende nicht wirklich erkennbar.

Ganz eindeutige zu Ende war das Reservat allerdings als wir plötzlich wieder mitten in einer Mine standen. In der Hierro Shougang. Entlang der Förderbänder, auf dem diesmal Eisenerz transportiert wurde, suchten wir uns den Weg aus dem Werk.

Entlang der Eisenerz-Förderbänder

Als wir am Ein- bzw. Ausgang ankamen, schauten uns der Sicherheitsdienst verdutzt an. Sie waren offensichtlich überrascht, wie wir Touris plötzlich mitten aus dem Werk kamen. Wir zeigten wage in Richtung Reservat. Die Männer waren ratlos, was sie nun mit uns machen sollten. Wir machten etwas Druck, da wir verhindern wollten, dass jemand auf die Idee kommt uns eine Strafe wegen illegalen Betretens der Mine aufzubrummen und die Hütchen wurden weggenommen und wir fuhren aus der Mine heraus.

Übrigens handelt es sich bei dem Betreiber der Mine um einen chinesischen. Bereits ein paar Tage zuvor hatten uns zwei Peruaner am Strand von San Juan de Marcona, die für Züblin irgendwas in einer der Minen taten, berichtet, dass dort alles voll sei von Chinesen.

Wir hatten schon unter anderem in Kyrgysztan erlebt, dass eine chinesische Firma den kompletten Straßenbau der ehemaligen Seidenstraße übernommen hatte. Dort waren neben der halb fertigen Straße eingezäunte Wohnbaracken für hunderte von Arbeitern zu sehen. Solche exklusiven Wohnbaracken sahen wir hier nicht und die Angestellten in der Mine waren auch nicht nur chinesischer Abstammung.

Während durch die Ertüchtigung der Seidenstraße Waren viel schneller aus China raus und Rohstoffe nach China auf dem Landweg rein transportiert werden können, werden hier in Peru die Rohstoffe (Eisenerz) selbst abgebaut, direkt auf Schiffe verladen und nach China transportiert. Das gleich gilt zudem auch für die Algen, die hier im großen Stil für den asiatischen Mark aufwendig gesammelt, getrocknet und zu Schiffen gebracht werden. Hergestellt wird daraus vornehmlich Kosmetik aber auch Lebensmittel.

Genau wie die zwei Angestellten von Züblin, die nicht so begeistert von den „ganzen Chinesen“ waren, warnte uns damals ein Kyrgise vor den chinesischen Arbeitern, die angeblich Kinder klauen würden…

Während sich die Bevölkerung mit den ausländischen Arbeitern mehr oder weniger arrangieren muss, ist es für die Regierung aber vermutlich ein sehr guter Deal Bodenschätze inklusive der dazugehörigen Arbeit zu verkaufen. Wie bereits schonmal geschrieben, gibt es hier genug karge, nicht nutzbare Landschaft. Da kann man einen Berg unter oder in dem Eisenerz schlummert aus Sicht der Regierung auch gut und gerne verkaufen. In dieser Folge weicht dann auch still und heimlich mal ein Naturreservat, wie das National Reserve San Fernando.

Nathi

3 Kommentare

  1. Faul Hans Juergen Faul Hans Juergen

    Hallo Lukas, habe eben deinen Bericht gelesen, dass ihr an Windkraftanlagen vorbeigefahren seid. Das sind Windkraftanlagen, die von Siemens und Porsche dort unten aufgebaut werden um E-Fuels zu produzieren. Das sind die aus Wind Energie ( Strom und Wasser) produziert werden.
    Ich wünsche euch noch weiterhin eine tolle Reise und bleibt gesund. Liebe Grüße, Hans- Jürgen Faul

  2. Bravo Bravo

    Hola! Los vi ayer en la Costa Verde en Lima. Justamente el viernes regrese de Nasca y también me crucé en la vía con las hélices y las Torres que están llevando al parque eólico. Qué calvario el que pasaron en San Fernando! Ni yo que soy peruano he conocido la reserva, salvo Paracas que es demasiado turístico. Espero que tengan suerte y conozcan más lugares. Si regresan por el sur, tienen buen pescado en Puente Chaparra y bien erizo en Atico. Además de muchas paltas (aguacates), aceitunas y muy bien aceite de oliva. Saludos!

  3. Ulla Brehm Ulla Brehm

    Hallo Ihr Vier, bow, das sieht arg karg aus, ein wenig Mondlandschaft, sehr staubig, bei sommerlicher Hitze sicherlich eine Teufelsfahrt, ein Glück, dass es schon herbstlich ist. Ich weiß ja, dass Ihr inzwischen wieder aus Richtung Peru kommend auf dem Weg durch Chile seid. Ich bin mir beinahe sicher, dass Ihr Eurem Freund nochmal einen Besuch abstattet, um gemeinsam mit ihm das Championsfrühstück neu aufleben zu lassen! Lisanne und Lukas mögen es delikat…. Und: man gönnt sich ja sonst nichts …..Dann könnt Ihr die Würstchen wirklich als Erinnerung an San Fernando „ablegen“! Euch Vieren weiterhin viele wunderschöne Erlebnisse, eine gute Zeit und gerne wieder (auch hier) einen weiteren Bericht! Ulla, Oma, UrUlla

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