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Warten in Kasachstan

Wir sitzen in Kasachstan fest. Nein, nicht weil Lukas die Nerven verloren hat und einem nervigen Polizisten die Meinung gegeigt hat, sondern wir hatten einen Federbruch vorne links. So ein Mist. Die Feder war brandneu, hat keine 15.000 km drauf und wurde extra für den Lukimog „angefertigt“.

Natürlich waren wir im Nichts als es passierte. Glücklicherweise fuhren wir gerade ganz langsam und rollten quasi nur über eine Sandpiste am Alakölsee. Tja nun, was tun. Lukas ist direkt mit der Firma Hellgeth in Kontakt getreten. Dank Internet und WhatsApp Telefonie mussten wir uns dafür auch nicht in Unkosten stürzen. Die Firma Hellgeth sagte uns sofort zu eine neue Feder per Express Kurier zu schicken. Aber wohin?

Wir brauchten eine offizielle Adresse zum verschicken. Von einem Freund von Lukas wussten wir, dass Pakete sehr lange brauchen bis sie, wenn überhaupt, ankommen. Das Problem ist wohl, das ein ganzer Häuserblock die selbe Hausnummer hat oder auch gar keine. Hinzukommt, das du demjenigen hinter der Adresse klar machen musst, was da kommt und warum. Englisch, geschweige denn Deutsch, spricht hier kaum einer. Also war die erste Idee das Paket zum Goethe Institut in Astana zu schicken. Die sprechen deutsch und die Adresse klingt exklusiv, also los! Auf nach Astana. Ganz langsam und vorsichtig konnten wir trotz Federbruch fahren.

Es war Freitag Abend, später stellt sich heraus, dass die nächstmöglichen DHL Express Sendungen erst Montag früh los geschickt werden können. Zum Glück!

Denn nach den ersten Kilometern mal wieder grauseliger Strecke, habe ich einen LKW Fahrer angesprochen, um mich nach den Straßenverhältnissen zu erkundigen. Die eigentlich auf der Karte geplante Route führte über eine Straße, die laut dem LKW Fahrer nicht mehr existent ist. Dadurch stiegen die Kilometer bis Astana von bereits stolzen 850 km auf 1300 km an. Die Straßen der neuen Route ging ich dann nach und nach mit ihm durch. Von Ayagöz bis Kalbatau (190 km) ganz ok, Kalbatau bis Semey (160 km) super, Semey bis Pavlodar (322 km) grauenvoll, Pavlodar bis Astana (260 km) mittelmäßig. Schnell wurde klar, das es keinen Sinn hat das 1300 km entfernte Astana erreichen zu wollen. Da muss man manchmal den Kopf unter der Karte verstecken. Semey war deswegen die zweite und bessere Wahl. Lediglich 500 km, denn in Ayagöz waren ja längst noch nicht, kein Umweg für die Weiterreise nach Russland und dort gibt es sogar eine DHL Station. Wir kamen Sonntagnachmittag an und konnten uns umschauen, sodass wir Montag früh zur Öffnung der Station, diese direkt stürmen konnten.

Zur Verdeutlichung unserer Gefühlslage: wir hatten Sorge das Paket kommt eh nie an, die Rezensionen im Internet sprachen davon, das die DHL Station eine üble Kaschemme ist, wo man zur Freigabe des Pakets extra zahlen muss und hinzu kam, dass wir es so früh wie möglich losschicken lassen wollten. Unsere Sorgen waren (bisher?!) unbegründet, die DHL Station wird von einer jungen Frau geführt, die sich unglaublich bemüht hat uns zu verstehen und zu helfen. Schnell hatten wir die Unterlagen zusammen, sodass das Paket unterwegs nun ist und wir es hoffentlich nächsten Montag, das heißt innerhalb von einer Woche erhalten. Die junge Frau, Ramina, wird uns eine WhatsApp schicken, sobald das Paket da ist.

Wie üblich in Asien befindet sich die DHL Station in einem Gebäude, das lediglich Werbung und Öffnungszeiten für eine Firma macht aber mehrere Firmen beinhaltet. Da ein DHL Express Schild draußen hing, konnten wir aber relativ sicher sein, dass die Adresse richtig war, als wir dort Sonntags und Montag früh vor der Öffnung standen.

Eigentlich sind es zwei Pakete. Das zweite Pakete schickt uns unser lieber Freund und Mitbewohner Hinnerk mit einer neuen Umwälzpumpe für die Heizung des Aufbaus, denn die hatte zwischenzeitlich auch schon den Geist aufgegeben. André von ATV hatte diese umgehend bestellt als er hörte, dass sie kaputt war und so konnte Hinnerk das Paket mit der Pumpe schnell hinterher schicken. Danke!!!

Als wir auf dem Weg nach Semey waren, war ich etwas deprimiert und die Stimmung war durch den Stress etwas gedrückt. Irgendwie schien uns das Pech zu verfolgen dachte ich. Mittlerweile drei kaputte Reifen, die Pumpe, Feder und das Ladekabel meines Laptops. Selbst unsere neue elektrische Zahnbürste hat den Geist aufgegeben.

Wie bescheuert! Das sind doch Lappalien. Das wichtigste ist doch das wir gesund sind. Ein guter Ort, damit einem das nochmal bewusst wird, ist Semey, eben die Stadt in der wir „festsitzen“.

Der Grund ist, die Stadt hat neben einer großartigen Vergangenheit als blühender, reicher Umschlagplatz vielfältiger Waren aus China, der Mongolei und Russland auch eine traurige Vergangenheit. Um die Assoziation mit dieser, letzteren Vergangenheit zu reduzieren bekam die Stadt mit „Semey“ einen neuen Namen. Bei „Semipalatinsk“, dem alten Name, denken die meisten lediglich an das größte Atomwaffentestgelände der Sowjetunion, welches sich circa 150 km westlich befindet. Das Gelände, auch Polygon genannt, ist seit dem 29. August 1991, also kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion, geschlossen. 383 unterirdische und 113 oberirdische Bomben (darunter auch Wasserstoffbomben) wurden jedoch bis zu diesem Zeitpunkt gezündet, das soll dem 2.500 fachen der Atombombe von Hiroshima entsprechen.

Nach der ersten von den Amerikanern gezündeten Atombombe zog die Sowjetunion am 29. August 1949 mit der RDS-1 nach. Die Explosion wurde von einem amerikanischen Wetterflugzeug detektiert, was die bekannten Spannungen des Kalten Krieges ordentlich anstachelte, denn es war nun klar: Die Sowjets können das jetzt auch!

Die damals für Fremde hermetisch abgeriegelten Stadt Kurchatov direkt am Testgelände war zwar sicher versorgt und die Menschen verdienten überdurchschnittlich gut aber sie wurden auch im unklaren darüber gelassen, was auf dem Polygon passiert und was das für Konsequenzen hat.

Die Konsequenzen waren natürlich nicht lokal begrenzt und so galt auch für Semipalatinsk, in den schlimmsten Jahren, das jedes zweite Kind geistig oder körperlich oder auch mehrfach behindert Kinder ist, erhöhte Krebsraten und infolgedessen hohe Selbstmordraten kommen noch hinzu.

Auf der Insel Polkovnitchij keine 5 km von der Innenstadt entfernt im Fluss Yrtisch, an dem die Stadt liegt, wurde für die Opfer ein Monument errichtet mit dem Namen „Stärker als der Tod“. Zu erkennen ist in der Spitze der Statue eine Darstellung für die Strahlung und auf dem Sockel eine Mutter die sich schützend über einen Säugling beugt. Und genau dort wurde mir bewusst: “ Wir sind alle gesund, kein Grund Trübsal zu blasen!“

Wenn man darauf achtet, sind in der Stadt vermehrt verkrüppelte Menschen zu sehen, mit irgendwelchen Geschwulsten, zu wenig Gliedmaßen oder zu vielen Finger …

Ungerecht, dass die Menschen, die in diesem „Versuchsgebiet“ leben, so leiden mussten (müssen).

Ich stelle mir die ganze Zeit vor, man möchte ein Kind bekommen. Hat keine Ahnung von Physik und Atomkraft. Strahlung ist nicht physisch greifbar, nicht zu sehen und soll dann trotzdem solche Auswirkungen haben?! Guten Mutes wechselt man während der Schwangerschaft vielleicht noch zur frischen Luft bei Verwandten auf dem Land, denn man sieht bei den Nachbarn in der Stadt wie viele Kinder krank sind und möchte das für das Eigene verhindern. Das aber das Erbgut schon von Beginn an geschädigt ist, bleibt doch fernab jeglicher Vorstellungskraft.

Ich habe länger über den Titel „Stärker als der Tod“ für das Monument nachgedacht. Natürlich man könnte interpretieren, gemeint ist die Liebe, die stärker ist als der Tod. Aber mir drängt sich viel mehr auf, dass es ein Kampf Davids gegen Goliaths ist. Die erzeugte Strahlung geschweige denn der entstehende Müll, überdauert doch unser aller Tod. Also ist doch die Strahlung stärker als Tod. Aber vielleicht soll der Titel des Monuments auch nicht trösten, sondern mahnen. Mahnen vor dem, was dort „freigelassen“ wurde. Die Frage „Wozu das Ganze?“ erübrigt sich hoffentlich sowieso für jeden!

Mittlerweile soll die Stadt und Gegend „frei“ sein, die Werte sollen überall weit unter dem internationalen Grenzwert liegen. Auch eine Besichtigung des Polygon ist mit drei Wochen Vorlaufzeit zur Erlangung eines Permits bis auf den unterirdischen Teil ohne gesundheitliche Bedenken möglich. Zu sehen sind die zu Seen aufgefüllten Krater, Bunker und Stollen sowie Museen und alte Beobachtungstürme. Viele Wissenschaftler leben nun dort, um die Auswirkungen auf die Umwelt zu beobachten. Das Forschungszentrum Jülich beteiligt sich beispielsweise am Monitoring des Grundwassers. Das unerlaubte grasen von den Tieren lokaler Farmer hat den Forschern die Möglichkeit geboten die Auswirkung auf die tierischen Produkte zu untersuchen. Das Ergebnis ist positiv, denn zum größten Teil sind alle Grenzwerte eingehalten.

Zwar sind die tierischen Produkte in Ordnung aber der Boden, das heißt Steine und Felsen direkt an den Explosionsstellen sollen unnatürlich geologische Phänomene aufweisen. So könne man sein Smartphone auf einen Stein legen und dieses wird geladen?!

Es ist zwar das einzige Atomwaffentestgelände der Welt, welches besucht werden kann aber wir nutzen lieber die Zeit in Semey um uns ausgiebig von dem anstrengenden Urlaub-machen zu erholen, während wir auf die Feder warten. Wir haben wunderschöne Standplätze auf der Insel, auf dem auch das Monument steht, am Ufer des Yrtisch oder direkt gegenüber am anderen Ufer. Die Landschaft erinnert teilweise an den Rhein oder es handelt sich um eine sehr schöne Heidelandschaft. Wirklich eine Idylle. Auch die Stimmung in der Stadt ist modern und sehr positiv.

Witzigerweise haben wir Jonathan und Wilhelmine aus Holland in Semey wiedergetroffen, mit denen wir schonmal einen Abend in Türkistan verbracht haben (dazu demnächst noch mehr). Mit den beiden sowie Jürgen und Gerda haben wir an einem Abend ein tolles Lagerfeuer gemacht bevor es für die beiden Pärchen weiter in die Mongolei ging. So ist das Warten doch erträglich 🙂

Etwas Gutes hat unser längerer Aufenthalt hier! Wir haben in einem Hotel für 5000 Tenge, das sind circa 15 €, unsere Wäsche waschen lassen. Die Wäsche war nicht nur blitzeblank sauber, sondern auch so glatt und ordentlich gefaltet, wie nie bei uns. Dieser Zustand tritt höchstens ein, wenn unsere Freundin Süüülvie bei uns Zuhause unseren Trockner nutzen möchte und unsere noch sich darin befindende Wäsche faltet bevor sie ihre reinlegen kann!

Lecker Schaschlik in Semey am Denkmal „Stärker als der Tod“.

Noch besser selbstgemacht am Ufer des Yrtisch.

Nathi

5 Kommentare

  1. Ulla Brehm Ulla Brehm

    Oh nein, da habt Ihr aber beim Skypen geschwiegen!!!! Ich ahnte ja nicht, dass Ihr festsitzt! Ich hoffe sehr, sehr, dass alles in dem Zeitraum klappen wird, den Ihr Euch gesetzt habt! Lisanne stimme ich zu : Einfach mal den Kopf unter die Karte stecken, wenn schon kein Sand in der Nähe ist!!!
    Auch hatte ich nie geahnt, dass der alte Johann Wolfgang aus Weimar (Goethe-Institut) und DHL so fest zusammenhängen, DHL hatte ich vor Jahren noch mit Wetten dass und Thomas Gottschalk zusammen gebracht! …Und …. so wird’s sein…Wetten dass alle Teile gut ankommen werden, man muss nur in allen Ecken der Welt Menschen kennen (wie Hinnerk und die gute kasachische DHL-Fee)! Bleibt gesund und verliert nicht den Mut…Alles Liebe und Gute, Bussi und Danke wieder einmal für die schönen Fotos….Ulla, Oma, Uri (Uhu)

  2. Uli Dohmen Uli Dohmen

    Einfach super und unglaublich wie ihr das schafft, allen Unbillen zum Trotz. Uli

  3. Marcus Sauer Marcus Sauer

    Hallo ihr 2 …..äääähhhhh Entschuldigung, 3 , ach nee reicht immer noch nicht, also 4 Weltenbummler! Beim lesen der Reisereportagen ist man (oder zumindest ich) immer wieder hin- und hergerissen zwischen Bewunderung, Erstaunen und Betroffenheit….also für mich wär das nichts: tausende km weit weg, dann Federbeinbruch etc. Ihr habt NERVEN!!!! Weiterhin natürlich alles Gute und die Reiseberichte sind soooooo klasse geschrieben, man reist förmlich mit! Danke schon mal dafür! Echt ein (sicheres Fern-)Erlebnis!! Bleibt gesund und unversehrt!
    LG Marcus aus Rondorf

  4. Hallo Unimogweltenbummler

    Zwei Jahre seid ihr uns voraus. Cool! Unser steht aktuell in Wurzbach. Die Vorfreude ist riesig. Eure Stories machen sie noch mal grösser.
    Gebrochene Feder ist unschön. Wir stehen auch vor dem Entscheid bezüglich customized Federn. Bin interessiert hinsichtlich euren Erfahrungen. Generell.

    • Lukimog Lukimog

      Moin, Dankeschön!
      Wenn ihr euch für angepasste Federn entscheidet, müsst ihr vorher die endgültige Achslast wissen. Neue angepasste Dämpfer sollten dann auch sein. Der Unimog klebt danach auf jeden Fall super auf der Straße.
      Grüße

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